Diese Tage werden
Demonstranten und Aktivisten aus ganz Europa in Frankfurt erwartet.
Die Veranstalter sprachen von bis zu 20.000 Teilnehmern, die vor der
EZB und am Flughafen ihre Meinung zu Bankenfilz, Umverteilung von
fleißig / unten nach reich, Demokratiedefizit und Abschiebepraxis
kundtun möchten.
Im Vorfeld schon hat die
deutsche Polizei mit martialischem Gebaren brilliert.
Ausschreitungen, Gewalt werde erwartet! Autonome und Aktivisten!!
Die Berichterstattung in den
Medien, abgerundet durch einschüchternde Fotos von gepanzerten
Fahrzeugen und Polizisten in voller Kampfmontur signalisierte dem
letzten vielleicht doch ein wenig sympathisierenden Michel in
unzweideutiger Dominanz: Bleib daheim, halt die Klappe, halt Dich
raus. Oder sollte diese ganze Machtdemonstration, das ganze
Mediengekreische etwa doch nur wegen bis zu 20.000 zu erwartender
Leutchen stattfinden, wo doch jedes größere Bundesligaspiel mehr
Fans anzieht, und die erfahrungsgemäß auch nicht immer durch
gepflegte Höflichkeit und Alkoholabstinenz auffallen....??
Wie auch immer sich die
bürgerfinanzierte Staatsmacht zusammen mit den ihr ergebenen
Propagandaorganen aufführt, wenn an ihren schimmligen Grundfesten
gerührt wird oder ihre Schoßhündchen in Bedrängnis geraten ist
das eine. Es ist im Grunde das erwartbare.
Das andere jedoch, das, was
mich wirklich erschüttert, sind die Reaktionen vieler Mitbürger auf
die Blockupy-Aktion, nachzulesen in den Foren der großen
online-Tageszeitungen. Da wird vom Leder gezogen was das Zeug hält,
da steht der Schaum vor´m Munde der Kommentarschreiber, und
Unterstellungen, Verunglimpfungen, regelrechte Hassreden auf die
Demonstranten werden abgefeuert.
Der Tenor: Die faulen
Hartzer werden rangekarrt um Krach zu machen! Immer dieselben!! Haben
nix besseres zu tun als Krawall zu machen! Halten anständige Bürger
von der Arbeit ab! Sollen auch was vernünftiges tun und sich mal ein
Beispiel nehmen an den anständigen Bürgern! Demokratie kann doch
nicht bedeuten dass ich gehindert werde, rechtzeitig in die Firma zu
kommen! Sollen diese Asozialen dort demonstrieren wo sie mich nicht
stören! Oder am besten gar nicht!
Und, als Krönung von allem,
wird nach der Polizei / dem Militär / nach sonstwem gerufen um mal
ordentlich durchzugreifen, Ordnung zu schaffen und drakonische
Strafen zu verhängen.
Mal ausgehend davon, dass
die veröffentlichten Kommentare vielleicht genauso volkserzieherisch
selektiert sind wie zu anderer Zeit unliebsame Kritik unterdrückt
wird – aber dass es überhaupt Leute in diesem Lande gibt, die
derartig respektlos über ihre Mitmenschen und deren Anliegen reden,
macht mich betroffen. Wie kann das sein, dass Forderungen, die
prinzipiell völlig berechtigt und keinesfalls zu beanstanden sind
und die mit den erlaubten Mitteln eines demokratischen Staates
allenfalls etwas lautstark vorgetragen werden derartig ablehnende
Reaktionen ihrer Mitbürger hervorrufen? Wie kann es sein, dass
demjenigen, der seine Meinung öffentlich vertritt, so viel
Aggressivität entgegen gebracht wird? Wie kann es sein, dass die
Toleranz einiger (hoffentlich nicht vieler!) schon dort aufhört, wo
lediglich die eigene Bequemlichkeit betroffen ist – nämlich beim
schnellen Weg zur Arbeit?
Oder anders formuliert: Wie
kann es sein, dass wir als Mitglieder einer Gesellschaft, eines
Landes uns so leicht gegeneinander aufbringen lassen? Wie gut
staatserzogen ist jemand, der Demonstranten für urbürgerliche
Rechte derart abwertend beschimpft und nach Polizei und drastischen
Strafen kreischt? Wer ist denn da die Gefahr für Demokratie? Der
Demonstrant mit den Straßensperren, oder doch der ergebene deutsche
Untertan?
Sehen wir nicht, dass
solches Verhalten, nämlich das Fehlen jedes Verständnisses und
jeglicher bürgerlicher Solidarität nur die als Gewinner kennt, die
unsere Solidarität überhaupt nicht verdient haben? Sehen wir nicht,
wie sich Banken- und Konzernmacht in unheiligem Verbund mit der
Politik die Hände reiben wenn wir uns gegenseitig zerfleischen,
statt mal den Fokus auf die richtige Stelle, nämlich auf die
Drehbuchschreiber dieser gesellschaftlichen Misere zu richten? Und
zwar gemeinschaftlich?
Rennen wir wirklich
kritiklos und ergeben mehr als die Hälfte des Jahres für einen
gängelnden Staat und ausufernde Steuervergeudung im Hamsterrad,
kriegen aber das Geifern, wenn nach Gerechtigkeit rufende Mitmenschen
uns auf dem Weg in die Tretmühle ausbremsen? Sind wir etwa schon
süchtig nach dieser Ausbeutung, erlegen wir sie uns schon selber
auf, stimmen wir schon gehorsam von selber das Lied der neoliberalen
Menschenfeindlichkeit an?
Oder glauben einige der gut
erzogenen keifenden Bravbürger wirklich, dass sie am Ende schlauer
sind als das System wenn sie nur alle anderen aus dem Weg kegeln und
noch viel schneller rennen, um irgendwann als Sieger aus welchem
Spiel auch immer hervorzugehen??
Leute, bitte: Denkt nach.
Schaut mal „den anderen“ an, wer auch immer das sein mag, der
Nachbar, der Kollege, sonst wer. Wir sitzen in einem Boot, wir
spielen in einem Team, und der Schädling ist nicht der Hartzer, ist
nicht der Demonstrant und ist auch nicht der, dessen Kraft nicht
reicht, das Hamsterrad in olympischer Geschwindigkeit zu treten.
Nehmt euch mal Zeit und denkt nach, denkt selber.
Finden wir wieder zu einer
Gesellschaft zusammen und treten wir gemeinsam dafür ein, das WIR
wieder in den Mittelpunkt zu stellen.
Oder um es mal mit Erwin
Pelzig zu sagen: Wenn die Kanzlerin immer über eine marktkonforme
Demokratie redet und diese fordert, möchte ich immer fragen, ob ihr
vielleicht auch mal die Idee eines demokratiekonformen Marktes
gekommen ist...?
Viele Grüße an alle, und
für eine neue menschlichere Gesellschaft!
Sat Nam,
Mirabai