Montag, 31. Dezember 2012

Ankunft

Gut ein halbes Jahr nachdem ich den Alto Mesayoq – Ritus empfangen habe, buchte ich den Flug nach Chennai. Ich wollte zunächst abwarten, bis die Monsunzeit zu Ende war, denn der trockenere, relativ kühlen Winter ist die bessere Reisezeit. Aber was heißt kühl in Südindien? 30 °C sind´s immer... Nein, mir macht das nichts aus, ich liebe das warme Wetter, und auch die höhere Luftfeuchtigkeit. Als Frau mit trockener Haut gibt’s nix besseres! Keine Creme, die ich je probiert habe, schafft es wirklich, das Spannungsgefühl nachhaltig wegzukriegen, und keine Haarkur macht schönere Locken als tropisches Klima! Hey, ihr Kosmetikentwickler! Denkt mal drüber nach!
Naja, der Monsun war in diesem Jahr im Grunde ausgefallen, und wenn es nicht so gewesen wäre, wäre ich mit meiner Planung wohl im wahrsten Sinne des Wortes im Regen gestanden. Die Klimatabellen, die im Internet zu finden sind, sollte man besser vergessen. Im Reisebüro kann man auch nicht alles wissen. Aber es heißt ja, daß derjenige, der seinem Ruf folgt, beschützt ist. Auch wenn sich zu der Zeit, als ich im Flugzeug saß, gerade ein Zyklon bereit machte, vom offenen Meer an Land zu gehen. In Chennai und Umgebung wurden die Menschen angewiesen, wegen schwerster zu erwartender Unwetter zu Hause zu bleiben. Ich gebe zu, daß mich das schreckliche Geruckele und Geschaukele des Fliegers über doch Vorzeichen nachdenken ließ...

Anders herum heißt es allerdings auch, daß es sehr unangenehm werden kann, wenn man sich nicht auf den Weg macht. Mit Apus ist nicht zu spaßen, und von andinen Schamanen ist bekannt, daß Apus ihre eigenen, nicht wirklich zartfühlenden Methoden habe, um ihren Auserwählten klar zu machen daß es an der Zeit wäre, sich mal auf die Socken zu machen. Seltsame Dinge passieren dann, bis die Person sich endlich ihrem Schicksal unterwirft. Dazu muss man wissen, daß der Beruf oder die Berufung als Schamane in praktisch allen Kulturen nichts ist, was man sich für ein leichtes, unbeschwertes Leben wünscht. Schamanen haben oft ein hartes Leben, verbringen viel Zeit alleine und übernehmen eine Menge Verantwortung für die ihnen Anvertrauten. Einweihungen geschehen traditionell durch Blitzschläge, am besten dreimalig, andere schwere Krankheiten sind aber auch möglich. Nicht jeder überlebt. Da drückt man sich doch schon mal gerne!

Ich weiß nicht, ob „mein“ Apu zu solch drastischen Methoden gegriffen hätte. Ich glaube, eher nicht. Ich begreife den Ruf eher als eine Art Einladung oder als ein Angebot, endlich nach Hause zu kommen. Auch weiß ich immer noch nicht, ob es bei mir darum geht, letztlich heilerisch tätig zu sein und solche Verantwortung zu übernehmen. Sollte ich gebraucht werden und um Hilfe gebeten, wäre ich bereit, aber diesbezüglich war ich nie gefordert.
Ich habe mich auf den Weg durch das Medizinrad gemacht, weil dies ein Weg der Selbstheilung ist, und weil mein Leben einfach nur die Hölle war. Ich wußte keinen anderen Ausweg mehr und bin vom Leben oder von meiner Seele gezwungen geworden, den falschen Alltag sein zu lassen endlich die Täler zu durchqueren, meine Schatten und Wunden anzusehen und an deren Heilung zu arbeiten. Vielleicht lauern irgendwo immer noch welche und wollen eines Tages freigelassen werden. Und dieser Weg, der Jahre gedauert hat und immer noch nicht zu Ende ist, hat mich zu der Einweihung zum Alto Mesayoq geführt, und diese Einweihung wiederum brachte mich nach Indien.

Ein Leben wie eine Schnitzeljagd – ich kann von meiner jetzigen Position kein Muster, keinen Weg erkennen. Ich gehe von Ort zu Ort, suche Hinweis nach Hinweis, und hoffe und vertraue, daß alles im Nachhinein Sinn machen wird und mich zu einem Ziel führen wird. Phasen der Wut und der Angst, weil dies ein Weg des totalen Kontrollverlustes ist, kann ich versichern...

Sonntag, 30. Dezember 2012

Indien


Was wird nicht alles über dieses Land geschrieben...
Ein „Anschlag auf die Sinne“ sei es, ein „Land der Extreme“, eine „Herausforderung“, und auch, daß man es entweder lieben oder hassen muss, und manchmal auch beides gleichzeitig tut.

Nun ja. Meine Sinne sind sicher nicht unsensibel, lassen sich aber von dieser Seite her nicht veranschlagen. Extreme haben wir in Deutschland ebenso (im Süden Berge, im Norden das Meer, in Indien ist´s halt umgekehrt), es gibt jede Menge sehr Reiche und laut Statistik werden es immer mehr bei einer gleichzeitig steigenden Zahl von Menschen, die die Stromrechnung nicht begleichen können. Und welche Frau könnte ihren Mann nicht manchmal erschlagen?? Andersrum ist das wohl genauso.
Was an diesen einigermaßen hilflosen Etikettierungen für Indien deutlich wird, ist meines Erachtens die Tatsache, daß es sich unseren westlichen, insbesondere unseren deutschen, Definitionen und Maßstäben völlig entzieht. Hermann Hesse hat mal sinngemäß sowas gesagt wie daß Indien für all jene, die einmal mit dem Herzen dort waren, immer ein Heimwehland bleiben wird. Und das ist das Geheimnis – es geht um´s Herz. Es geht um das persönliche. Und damit bildet wohl der gesamte Subkontinent mitsamt seinen Bewohnern einen vollkommenen Gegensatz zu unserer Kultur, zu unserer Lebensart und, diesen Prägungen geschuldet, letztlich sogar zu unseren Persönlichkeiten.

Sollten Sie jemals nach Indien fahren, erlauben Sie mir, Ihnen das folgende mitzugeben: Lassen Sie alles hinter sich und tauchen Sie einfach ein. Vergessen Sie Vorschriften, legen Sie keine Maßstäbe an, urteilen Sie nicht. Gehen Sie einfach hin wie ein Kind, schauen Sie, nehmen Sie auf, nehmen Sie hin, und haben Sie Zeit. Ich verspreche, dann werden Sie eine wundervolle Zeit erleben, mit Menschen, die Anteil nehmen, die auf respektvolle Weise persönliches Interesse an Ihnen zeigen, die hilfsbereit sind ohne aufdringlich oder arrogant zu sein, die neidlos ihren relativen westlichen Reichtum anerkennen, die Ihnen nahe kommen ohne die Grenzen zu überschreiten. Lassen Sie sich auf allgegenwärtige und öffentlich gelebte Religiosität ein, auf jahrtausende alte Kultur, auf heilige Plätze mit ganz besonderen, selbst für Westler spürbaren, Energien und Atmosphären, und freuen Sie sich an wunderschöner Landschaft.

Lassen Sie sich durch dieses Land tragen – ich hab´s probiert, es geht wirklich.



Der Berg ruft...


Berge rufen?? Und wenn ja, macht das nur das Matterhorn im entsprechenden Film? Verhalten sich denn auch noch andere so? Schallen die Rufe der Berge quer durch die Welt? Oder geht’s hier etwa doch um die alljährliche Erlanger Bergkirchweih zu Pfingsten, die unter dem selbem Motto steht?

Meiner Erfahrung nach kann ich sagen... Ja, Berge können tatsächlich rufen. Mich hat mal einer gerufen. Es war nach einer Einweihung, nach dem Alto Mesayoq – Ritus. Und schon muss ich abschweifen, ausholen: Ein Alto Mesayoq ist ein Schamane Perus, ein Q´ero-Schamane, der besonders mit den Geistern der Berge verbunden ist. Die Q´ eros wiederum, um vom abschweifen abzuschweifen, sind ein Stamm Indigener, die von sich sagen, die direkten  Nachfahren der Inka zu sein. Für sehr lange Zeit und seit der Eroberung durch die Spanier sind sie in die unwirtlichen Höhen der Anden geflüchtet um dort zu  überleben. Ihre Kultur und Tradition gilt als sehr rein und unbeeinflusst. Erst in den 50er Jahren kamen sie aus ihrer Abgeschiedenheit zurück und zeigten sich der Welt.

Also, nochmal: Ich empfange die Alto Mesayoq – Einweihung, der Same wird gelegt, und wer berufen ist oder eine Verbindung zu den Bergwesen, den Apus, hat, wird einen Ruf hören. Ich konnte es kaum fassen, was ich da bei meinem schamanischen Seminar hörte. Das ging sogar mir ein bißchen zu weit. Was sollte das sein, der Ruf eines Apu? Vielleicht eine Traumerscheinung? Man versicherte mir aber, mitten in Deutschland und aus seriösem Munde, daß wenn ich überhaupt gerufen würde, die Sache eindeutig und klar sei. Wie auch immer der Ruf dann aussehen würde.
Nachdem ich nochmal drüber nachgedacht habe kam ich zu dem Schluß, daß ich, wenn ich denn gerufen würde, die Sache wohl eh´nicht verstehen würde, oder aber, was noch viel wahrscheinlicher sei, ich gar nicht berufen sein würde. Wie auch. Bei dem ganzen Training, durch das ich mich zwei Jahre gequält habe (ich betone: gequält!), weil ich nämlich am Ende war mit burn out, Depressionen, Schlaflosigkeit, latenten Suizidgedanken, ohne Perspektiven, dafür mit entsetzlichen Gedankenkarussellen, der ganzen Packung also, war ich nie das schamanische Licht... Eher so der Depp... Völlig deplatziert als nüchterner Mensch unter feinfühligen Profi-Esoterikern (man verzeihe die Spitze, es waren auch wunderbare Menschen dort, zwei meiner jetzt allerbesten Freunde, und ich bin froh, die beiden zu kennen)... Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte, und ich erzähle sie vielleicht später.

Als ich an einem Sonntag Abend jedenfalls, am Tag nach der besagten Einweihung, zum Flughafen fuhr um meine Tochter abzuholen, wie immer in irgendwelchen unsinnigen Alltagsgedanken versunken, hörte ich laut und deutlich in meinem Kopf das Wort „Arunachala!!“ klingen. Hoppla, wie der Franke sagt. War das ein Ruf?? Ich wusste, der Arunachala ist ein Berg. In Indien, irgendwo im Süden. Hab ich schon mal gehört. Einmal im Jahr werden dort rituell Feuer angezündet. Und das war dann im Grunde schon alles.
Daheim, nach einer Internet-Recherche wusste ich: Dieser Berg ist bekannt für sowas. Den hochverehrten Ramana Maharishi hat er auch gerufen, und nie wieder losgelassen, aber ansonsten waren und sind da noch viele andere, bekannte und unbekannte Pilger, die ihm zuströmen, weil er sie zu sich zieht. Und auch den Apu des Berges kennt man: Es ist der Gott Siva selber. Der, der mich immer so berührt hat, in Bildern und Darstellungen, in Geschichten über ihn, und auch durch die Bhajans, die hingebungsvollen religiösen Gesänge, welche mich zu Tränen rühren können. Nehmen wir zum Beispiel den wundervollen Rudrastakam, von Swami Tulsidas vor vielen Jahrhunderten komponiert, und gesungen vom verehrten Ramesh Bhai Oza. Sehe ich mir noch eine gute Übersetzung des Textes aus dem Sanskrit an - schon ist es passiert.

Und am anderen Morgen, als ich mich wieder im Internet eingeloggt habe, um wie alle Tage in der Frühe die Morgenzeitung online zu lesen, war ein Lesezeichen zur live webcam mit minütlich aktualisierten Bildern des Arunachala in meiner Symbolleiste abgelegt. Mitten drin, zwischen den links zur e-mail, zu meinen bevorzugten Zeitungen und Blogs. Ich schwör´s. Ich war mir keine Sekunde bewusst, das Lesezeichen gesetzt zu haben.