Gut ein halbes Jahr nachdem ich den
Alto Mesayoq – Ritus empfangen habe, buchte ich den Flug nach
Chennai. Ich wollte zunächst abwarten, bis die Monsunzeit zu Ende war, denn der trockenere, relativ kühlen Winter ist die bessere
Reisezeit. Aber was heißt kühl in Südindien? 30 °C sind´s
immer... Nein, mir macht das nichts aus, ich liebe das warme Wetter,
und auch die höhere Luftfeuchtigkeit. Als Frau mit trockener Haut
gibt’s nix besseres! Keine Creme, die ich je probiert habe, schafft
es wirklich, das Spannungsgefühl nachhaltig wegzukriegen, und keine
Haarkur macht schönere Locken als tropisches Klima! Hey, ihr
Kosmetikentwickler! Denkt mal drüber nach!
Naja, der Monsun war in diesem Jahr im
Grunde ausgefallen, und wenn es nicht so gewesen wäre, wäre ich mit
meiner Planung wohl im wahrsten Sinne des Wortes im Regen gestanden.
Die Klimatabellen, die im Internet zu finden sind, sollte man besser vergessen. Im Reisebüro kann man auch
nicht alles wissen. Aber es heißt ja, daß derjenige, der seinem Ruf
folgt, beschützt ist. Auch wenn sich zu der Zeit, als ich im
Flugzeug saß, gerade ein Zyklon bereit machte, vom offenen Meer an
Land zu gehen. In Chennai und Umgebung wurden die Menschen angewiesen, wegen schwerster zu erwartender Unwetter zu Hause zu bleiben. Ich gebe zu, daß mich das schreckliche Geruckele und Geschaukele des Fliegers über doch Vorzeichen nachdenken ließ...
Anders herum heißt es allerdings auch,
daß es sehr unangenehm werden kann, wenn man sich nicht auf den Weg
macht. Mit Apus ist nicht zu spaßen, und von andinen Schamanen ist
bekannt, daß Apus ihre eigenen, nicht wirklich zartfühlenden
Methoden habe, um ihren Auserwählten klar zu machen daß es an der
Zeit wäre, sich mal auf die Socken zu machen. Seltsame Dinge
passieren dann, bis die Person sich endlich ihrem Schicksal
unterwirft. Dazu muss man wissen, daß der Beruf oder die Berufung
als Schamane in praktisch allen Kulturen nichts ist, was man sich für
ein leichtes, unbeschwertes Leben wünscht. Schamanen haben oft ein
hartes Leben, verbringen viel Zeit alleine und übernehmen eine Menge
Verantwortung für die ihnen Anvertrauten. Einweihungen geschehen
traditionell durch Blitzschläge, am besten dreimalig, andere schwere
Krankheiten sind aber auch möglich. Nicht jeder überlebt. Da drückt
man sich doch schon mal gerne!
Ich weiß nicht, ob „mein“ Apu zu
solch drastischen Methoden gegriffen hätte. Ich glaube, eher nicht.
Ich begreife den Ruf eher als eine Art Einladung oder als ein
Angebot, endlich nach Hause zu kommen. Auch weiß ich immer noch
nicht, ob es bei mir darum geht, letztlich heilerisch tätig zu sein
und solche Verantwortung zu übernehmen. Sollte ich gebraucht werden
und um Hilfe gebeten, wäre ich bereit, aber diesbezüglich war ich
nie gefordert.
Ich habe mich auf den Weg durch das
Medizinrad gemacht, weil dies ein Weg der Selbstheilung ist, und weil
mein Leben einfach nur die Hölle war. Ich wußte keinen anderen
Ausweg mehr und bin vom Leben oder von meiner Seele gezwungen
geworden, den falschen Alltag sein zu lassen endlich die Täler zu
durchqueren, meine Schatten und Wunden anzusehen und an deren Heilung
zu arbeiten. Vielleicht lauern irgendwo immer noch welche und wollen
eines Tages freigelassen werden. Und dieser Weg, der Jahre gedauert
hat und immer noch nicht zu Ende ist, hat mich zu der Einweihung zum
Alto Mesayoq geführt, und diese Einweihung wiederum brachte mich
nach Indien.
Ein Leben wie eine Schnitzeljagd –
ich kann von meiner jetzigen Position kein Muster, keinen Weg
erkennen. Ich gehe von Ort zu Ort, suche Hinweis nach Hinweis, und
hoffe und vertraue, daß alles im Nachhinein Sinn machen wird und
mich zu einem Ziel führen wird. Phasen der Wut und der Angst, weil
dies ein Weg des totalen Kontrollverlustes ist, kann ich
versichern...