Das italienische
Volk hat gewählt – und insgesamt mehr als die Hälfte der Stimmen
der Wahlberechtigten gingen an Euro- und EU-kritische Kandidaten.
Beppe Grillos
Volksbewegung „Movimento Cinque Stelle“, die erstmals zu einer
Parlamentswahl angetreten war, konnte sich gleichsam aus dem Nichts
heraus als stärkste Einzelpartei durchsetzen, und der
wiederauferstandene Berlusconi mit seinem Mitte-Rechts-Bündnis, der
im Vorfeld der Wahlen mit EU-kritischen Tönen von sich reden machte,
wird in Zukunft die Mehrheit im Senat stellen. Bersanis
Mitte-Links-Bündnis hingegen gewann die Wahl im Abgeordnetenhaus.
Ohne nun auf die
italienischen Spezifitäten bei der Regierungsbildung eingehen zu
wollen, ist es mir ein Bedürfnis, meine Empörung sowohl über die
versuchte Beeinflussung des italienischen Volkes im Vorfeld der
Wahlen, als auch über die Berichterstattung (nicht nur) zum Ergebnis
auszudrücken.
Einerseits das
eisige Medienschweigen über Beppe Grillos Volksbewegung und seine
überaus erfolgreichen Wahlveranstaltungen, welche Hunderttausende
auf die Straßen brachten, und andererseits die Abqualifizierung
Grillos als „Komiker“ und „Populist“ sprechen Bände.
Hierzulande kein Wort zu seiner berechtigten und fundierten Kritik an
Filz und Kungeleien zwischen Staat und (Banken-)Lobbies, kein Wort zu
seinen absolut diskussionswürdigen Reformideen. In Deutschland
tituliert niemand Joschka Fischer „Taxifahrer“ oder Claudia Roth
„Studienabbrecherin“, um nur einige Bespiele zu nennen. Diesen
Respekt sollten wir auch den italienischen Volksvertretern angedeihen
lassen. Außerdem sollten seriöse Berichte zum Wahlkampf schon
alleine aus Gründen der Nicht-Einseitigkeit das gesamte politische
Spektrum abdecken und auch Außenseitern oder Minderheiten einen
Platz einräumen.
Auch steht es
niemandem, und schon gar nicht von außerhalb Italiens, zu,
Kommentare abzugeben, die im Grunde Wahlempfehlungen sind. Ich denke
hier zum Beispiel an Bemerkungen des Gymnasiasten ohne Abitur und
Buchhändlers Martin Schulz, der jetzt die Position eines
EU-Parlamentspräsidenten inne hat, oder auch die Äußerungen Mario
Montis, der verlauten ließ, dass unsere Bundeskanzlerin Merkel die
linksgerichtete Opposition nicht in einer Regierungsverantwortung
sehen möchte.
Ich bin der
Meinung, das italienische Volk ist aufgeklärt und intelligent genug,
um eine eigene, faktenbasierte Wahlentscheidung zu treffen. Es
braucht keine Einflüsterungen von oben oder von außen. Wer mit
Mitteln der Einflussnahme arbeitet, kann das Volk nur für unmündig
und dumm halten, und dies ist einer Demokratie unwürdig. Selbigen
Respekt und Freiraum wünsche ich mir übrigens auch für meine
Landsleute und für mich, wenn im September Wahlen in Deutschland
anstehen.
Die Einhelligkeit
aber, mit der samt und sonders alle Vertreter unseres
Medien-Blätterwaldes die freie Wahlentscheidung des italienischen
Souveräns im Nachhinein abqualifizieren, beschämt mich am meisten.
Dieses Unisono der Journalistenstimmen, im Gleichklang mit den
schrillen Entsetzensschreien der Wirtschafts- und Bankenlobby sowie
des Brüsseler Politbüros, führt hoffentlich von italienischer
Seite nicht zu der Annahme, daß die veröffentlichte Meinung der
Meinung der deutschen Bürger entspricht. Die Leserbeiträge in den
Foren sprechen hierzu eine eindeutige Sprache. Die Diskrepanz
zwischen Journalismus und „Stammtisch“ war wohl selten größer.
Ich möchte
hiermit meinen Respekt vor der Entscheidung des italienischen Volkes
ausdrücken, welches sich einer nicht demokratisch legitimierten
Technokraten-Regierung entledigt hat und den Mut besitzt, für die
eigene Zukunft neue, selbstbestimmte Wege mit neuen, unverbrauchten
Köpfen und grundsätzlich anderen Ideen zu gehen. Wie auch immer
diese Wege aussehen mögen oder umgesetzt werden sollen, ich wünsche
Italien viel Erfolg, Kraft und Glück.
Mirabai
Mirabai